Stefan sitzt mit weißem Hemd und schwarzem Sakko vor der Kamera. Er trägt kurze orange Haare.

Stefan berichtet über sein ganz normales Leben und seinen Weg in die Juristerei

Ich heiße Stefan, bin 36 Jahre jung (2024) und lebe gemeinsam mit meinen beiden Kindern und meiner Frau ein – so finde ich – ganz normales Familienleben südlich von Leipzig. Wie viele andere junge Menschen in meinem Alter treibe ich sehr gern Sport, fahre täglich mit dem Zug zu meiner Arbeitsstelle, verbringe viel Zeit mit der Familie und entspanne mich gern beim Anbau von Spargel oder beim Grillen im Garten oder besuche auch ganz gern mal ein Fußballspiel von RB Leipzig, Dynamo Dresden oder dem FC Grimma. 

Warum stelle ich diese „Normalität“ so in den Vordergrund? Weil ich allen Menschen, die – wie ich – von einer Seheinschränkung oder einer anderen Beeinträchtigung betroffen sind, zeigen möchte, dass die Führung eines „normalen“ Lebens als Mensch mit Behinderung nicht nur möglich, sondern auch höchstwahrscheinlich ist. 

Natürlich ist jeder Betroffene, jedes Elternteil oder jeder Freund und Bekannte zunächst einmal geschockt, wenn er erfährt, dass ein Nahestehender eine Behinderung oder eine Krankheit hat, die möglicherweise sogar noch schlimmer werden kann. Aber – und davon bin ich fest überzeugt -, das Aufwachsen mit Behinderung und allen damit verbundenen persönlichen Herausforderungen, Niederlagen und Erfolgen ist eine sehr gute Basis für die Entwicklung einer gefestigten Persönlichkeit, die den Anforderungen der heutigen Zeit durchaus sehr gut gewachsen sein kann. Nicht nur während meiner Realschulzeit an der Blindenschule Chemnitz (dort als Internatsschüler bis zur Klasse 10), sondern auch vorher während des Besuchs einer Regelgrundschule am Heimatort und später als Schüler des Gymnasiums für Sehbehinderte in Königs Wusterhausen (ab der 11. Klasse) und letztendlich während zahlreicher Studien an Fachhochschulen und Universitäten lernte ich mich an die verschiedensten Lebenssituationen anzupassen. Ich verstand mich durchzusetzen und mit Stärken und Schwächen meiner Mitmenschen umzugehen. Persönlich habe ich meine Behinderung natürlich nie gern hingenommen – ich wollte als Kind immer Radsportprofi werden – aber ich habe sie auch nie als etwas angesehen, was mich davon abhielt, mein Leben nach meinen Vorstellungen zu leben. Im Gegenteil, ich wollte der Welt der „Normalen“ immer beweisen, dass ich gleichberechtigt, nicht weniger gut und ebenso leistungsfähig bin. Daraus habe ich stets meine Motivation gezogen, weiter zu machen und immer noch etwas mehr zu geben. Das betraf das Lernen in der Schule, die Leistungs- und Anstrengungsbereitschaft beim Sport sowie das Agieren in anderen Bereichen des Lebens. Bevor ich kurz meinen beruflichen Lebensweg beschreibe, noch ein Satz fürs „Phrasenschwein“: 

„Man muss das Leben so nehmen wie es ist und das Beste daraus machen!“ 

Das klingt unspektakulär, ist mir persönlich aber immer ein Leitfaden und Kraftquell gewesen.

Nach dem Ende meiner bereits oben erwähnten Schullaufbahn (Regelgrundschule am Heimatort/ Realschulabschluss an der Blindenschule in Chemnitz/ Abitur in Königs Wusterhausen) musste ich mich nun den allgemeinen Anforderungen eines Studiums stellen. Ich studierte zunächst drei Jahre an der Fachhochschule der Sächsischen Verwaltung in Meißen. Da ich mein Fachwissen noch erweitern und gern im höheren Verwaltungsdienst tätig werden wollte, erlangte ich danach berufsbegleitend zu meiner Tätigkeit in der sächsischen Ministerialverwaltung den Masterabschluss im Wirtschaftsrecht an der Universität des Saarlandes. Mein Erstgutachter fragte mich schließlich, ob ich nicht noch Lust zum Promovieren hätte und ich sagte ohne viel darüber nachzudenken „ja“. 2019 wurde ich an der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer schließlich zum Doktor der Rechtswissenschaften promoviert. 

An allen Hochschulen wurde ich ausnahmslos sehr gut unterstützt, indem ich etwa die Vorlesungsunterlagen in digitalisierter Form erhielt und die Klausuren und Examen innerhalb einer verlängerten Zeit am PC schreiben durfte. Besonders wichtig war m.E. der offene Umgang mit der Sehbehinderung, da man dadurch den Dozenten und Studierenden die Angst vor dem Unbekannten etwas nehmen konnte und so ein unkomplizierterer Umgang entstand. Trotzdem konnte nicht immer alles „Nicht-Gesehene“ zu 100 % ausgeglichen werden. Dann kam es besonders auf die eigene Leistungsbereitschaft an. Oftmals habe ich die Vorlesungen mit großem Aufwand gänzlich nacharbeiten müssen, um beispielsweise verpasste Tafelbilder aufzuarbeiten und den vermittelten Stoff zu verstehen. Auch wenn sich Kommilitonen in dieser Zeit anderweitig Vergnügen konnten, war es mir das wert und es hat sich bezahlt gemacht. Sehr weitergeholfen hat mir auch die Fähigkeit, wichtige von unwichtigen Informationen zu unterscheiden und mir eben nur die wichtigen Inhalte lange und gut merken zu können. Denn oft habe ich in den Vorlesungen einfach nur zugehört und die wichtigen Dinge mitgeschrieben. Das war sehr effektiv und zugleich eine gute Schule für das weitere Leben, denn von dieser Fähigkeit profitiere ich auch sehr in meinem Beruf.

Heute bin ich stellvertretender Leiter der Abteilung „Recht & IP“ an einer sächsischen Universität und lebe das oben beschriebene „normale“ Leben.